Dienstag, August 19, 2025
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Manchmal beginnt es ganz leise

Liebe, Drama & Schuldgefühle: Wenn Beziehung zur täglichen Selbstaufgabe wird

Mit dem Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Dass man sich selbst verliert. Dass man ständig überlegt, wie es dem anderen geht, wie man die Stimmung retten, den Abend retten, vielleicht sogar die Beziehung retten kann. Dass man erschöpft ist und trotzdem nicht aufhört, sich zu bemühen.
Viele Frauen in Beziehungen mit suchtkranken oder psychisch stark belasteten Männern kennen dieses Gefühl. Sie tragen die Beziehung, Tag für Tag, und verlieren dabei sich selbst.

Wenn Liebe zur Selbstaufgabe wird

Co-Abhängigkeit ist ein Begriff, den Betroffene häufig gar nicht kennen. Sie sehen sich als Retterin, oft ohne zu erkennen, dass dahinter der tiefe Wunsch liegt, gebraucht zu werden. Sie halten sich fest am Strohhalm der Hoffnung, dass ihre Liebe reicht. Dass sich der Partner ändert, wenn sie noch geduldiger und verständnisvoller sind. Wenn sie ihre eigenen Bedürfnisse noch mehr zurückstellen und weniger „kompliziert“ sind. Sie hoffen, dass sie ihren Partner retten können.

Das Grundmuster: Der eigene Wert wird daran gekoppelt, wie sehr man für den anderen da ist. Wie viel man „halten“ kann. Und das fühlt sich manchmal sogar stark an. Weil man funktioniert und alles am Laufen hält. Weil man die ist, die die Hoffnung niemals aufgibt.
Doch währenddessen zieht ein anderes Gefühl ein: Schuld. Wenn er wieder trinkt. Wenn er wieder tagelang schweigt. Wenn er sich abwendet. „Vielleicht habe ich es falsch gesagt.“ „Vielleicht bin ich nicht liebevoll genug.“ „Vielleicht war das Timing schlecht.“
Und so dreht sich die Spirale weiter. Liebe, Drama, Schuldgefühle. Ein Zyklus, der langsam die eigene Lebenskraft auffrisst.

Was Co-Abhängigkeit wirklich ist

Der Begriff Co-Abhängigkeit kommt aus Amerika und bezog sich ursprünglich auf Partnerinnen alkoholabhängiger Männer. Es gibt keine offizielle, einheitliche Definition, aber als Grundmuster zeigt sich, dass Betroffene versuchen, anderen über die Maße zu helfen. Oft über die eigenen Grenzen hinweg. Es ist ein unsichtbares Gefängnis, gebaut aus Verantwortung, Hoffnung, emotionaler Abhängigkeit und einem tief verankerten Wunsch nach Gebrauchtwerden.

Typische Gedanken, die Co-Abhängige plagen:

„Ich darf ihn nicht im Stich lassen.“
„Ich muss stark sein.“
„Ich darf nicht aufgeben.“
„Ohne mich schafft er es nicht.“

Darunter liegt häufig die Überzeugung: Nur wenn ich gebraucht werde, bin ich wertvoll. Es ist also völlig verständlich, dass Betroffene alles dafür tun, gebraucht zu werden. Oft bis zur Erschöpfung und darüber hinaus.

Erste Schritte zurück zu dir

Wenn du dich hier wiedererkennst, dann möchte ich dir sagen: Du bist weder falsch noch zu empfindlich. Du bist auch nicht egoistisch, wenn du beginnst, dich selbst wichtiger zu nehmen.
Ich war selbst an diesem Punkt. Ich weiß, wie verwirrend es ist, wenn man sich zwischen Liebe und Selbstschutz zerrissen fühlt. Und ich weiß heute auch: Es gibt einen Weg da raus.
Ein Weg, der nicht mit Selbst-Vorwürfen beginnt, sondern mit Mitgefühl für dich selbst. Ein Weg, auf dem du lernst, dass dein Wert nicht daran hängt, wie sehr du für andere da bist. Ein Weg zurück zu dir.
Und dieser Weg beginnt mit einem ersten Schritt: Dem Erkennen, dass Liebe niemals Selbstaufgabe bedeuten darf.

Was erste Schritte für dich sein können:

Den Fokus zurück zu dir holen. Was brauchst du gerade? Was tut dir gut? Statt: Was braucht er gerade?
Verantwortung zurückgeben. Du bist nicht verantwortlich für sein Leben, seine Heilung oder seine Gefühle. Du bist verantwortlich für dein Wohlbefinden.
Eigene Ressourcen aufbauen. Sprich mit Menschen, denen du vertraust. Hol dir Unterstützung. Erinnere dich daran, was dir Freude macht, und baue kleine, freudvolle Momente in deinen Alltag ein.

Auch wenn du es gerade vielleicht noch nicht glaubst: Es ist möglich. Du kannst wieder ganz bei dir ankommen. Schritt für Schritt in deinem Tempo.

Bild: Fotografin: Martha Ryan (www.martha-ryan.com)

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

Martina Keglovits
Martina Keglovitshttps://expansion-beyond.com/
Martina Keglovits ist mehrfach zertifizierter Trauma-informierter Coach mit dem Schwerpunktthema Suchtbeziehungen. Sie unterstützt Menschen dabei, ihre co-abhängigen Muster zu erkennen und sich daraus zu lösen, um wieder gesunde, nährende Beziehungen erleben zu können.
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