Interview mit Christian Orth, Geschäftsführer ICXchange-Deutschland e.V. über die Frage, wo und womit man am besten seinen Lebenslauf veredeln kann.
Herr Orth, vor 20, 30 Jahren war der Auslandsaufenthalt sicher noch etwas Besonderes. Gehört ein solcher Hinweis im Lebenslauf heute nicht schon zum guten Ton?
Christian Orth: Natürlich hat hier ein technologischer und gesellschaftlicher Wandel stattgefunden. Wer noch in den siebziger Jahren mit dem Bus nach England gefahren ist, um dort bei einer Gastfamilie zu wohnen und vier Wochen ein College zu besuchen, hatte mit Sicherheit etwas, worauf er beim Vorstellungsgespräch angesprochen werden konnte. Heute würde man eine solche Passage eher geflissentlich überlesen.
Also kann man es eigentlich auch sein lassen?
Christian Orth: Abgesehen davon, dass die Ausgestaltung des Lebenslaufes sicher nicht das einzige Kriterium für einen Auslandsaufenthalt darstellen sollte, bieten sich den Schülerinnen und Schülern heute natürlich ganz andere Möglichkeiten als 1970. Sie können heute auch eine Schule in Neufundland besuchen oder an einem Austauschprogramm auf den Galapagos-Inseln teilnehmen. Und damit kann man sich heute durchaus noch von der grauen Masse abheben.
In welchem Alter sollte man seine erste Auslandserfahrung machen?
Christian Orth: Ich empfehle unbedingt schon in der Oberstufe der Schule damit anzufangen: Ab der achten Klasse haben Schülerinnen und Schüler schon überwiegend die entsprechende Reife, ein Austauschjahr geistig und körperlich durchzustehen. Nach Beendigung der Schule bieten sich weitere vielfältige Möglichkeiten: Ob FSJ, FÖJ oder sogar in der Bundeswehr – die Möglichkeiten für Auslandsjahr sind unüberschaubar. Auch ist es in einigen Ländern wie Kanada oder Neuseeland möglich, mit einem Abitur in der Tasche noch am High-School-Programm teilzunehmen. Nur gibt es eben auch viele, die nach dem Abi gleich studieren und von dort in die Bewerbungsphase übergehen und am Ende findet man sich an irgendeinem Büro-Schreibtisch wieder und verdient das große Geld. Rückblickend haben dann aber viele das Gefühl, etwas in ihrem Leben verpasst zu haben. Gut, wer dann schon in seiner Schulzeit ein Auslandsjahr gemacht hat.
Sie haben eben davon gesprochen, ein Auslandsjahr „durchzustehen“. Was muss denn ein Austauschschüler dafür mitbringen?
Christian Orth: Ab der achten Klasse (die Mädchen früher, die Jungs etwas später) formiert sich oft schon der erste Berufswunsch, man wird strukturierter, macht Pläne, beginnt sich auch intrinsisch für den Unterricht zu interessieren, wo vorher nur stupides „Lernen nach Noten“ angesagt war. Das ist die Grundvoraussetzung: Austauschschülerinnen und -schüler müssen den kompletten Stoff in einer Fremdsprache bewältigen – und oft nach ihrer Rückkehr an ihrer alten Schule eventuell versäumten Stoff nachholen. Das erfordert eine überdurchschnittliche Kraftanstrengung. Das ist übrigens der entscheidende Punkt, auf den Personalabteilungen achten: Dem Bewerber oder der Bewerberin werden – unabhängig vom Notendurchschnitt – herausragende Lernleistungen attestiert, sowie die Fähigkeit, sich auf ungewohnte Umgebungen anpassen zu können – eine Kernkompetenz in der modernen Arbeitswelt.
Sicher spielt auch interkulturelle Kompetenz dabei eine Rolle
Christian Orth: Das liegt in der Natur der Sache. In der Tat bildet ein Auslandsschuljahr gleich mehrere Kompetenzen aus: Neben der erwähnten Lern- und Anpassungskompetenz und höheren Sprachfertigkeiten spielt auch die Sozialkompetenz eine große Rolle: Gerade das angelsächsische Schulleben lebt von Interaktion, Präsentation und von Projektarbeiten, bei denen die Schülerinnen und Schüler in Gruppen gemeinsam Lösungsmöglichkeiten entwickeln. Das geht weit über den Frontalunterricht hinaus, bei dem man sich auf der letzten Schulbank verstecken kann. Und schließlich ist die interkulturelle Kompetenz wie von ihnen angesprochen eine Schlüsselkompetenz, die vielfach ausgeprägt ist: Je nach Land hat der Austauschschüler oder -schülerin in einer anderen Sprache Witze erzählt, geflucht und gelacht, hat anderes Essen gegessen, andere Musik gehört, hat etwas über die Geschichte des Gastlandes gelernt, andere Freunde gehabt – das bleibt fürs Leben, das wird zum Teil der eigenen DNA. Sowas kann man nicht auf Wochenendseminaren oder in Crash-Kursen lernen.
Nun kann so ein Auslands-Schuljahr ganz schön zu Buche schlagen. Können sich nur reiche Familien so etwas leisten?
Christian Orth: So ein Auslandsschuljahr kostet je nach Land und College etwa ab 10.000 Euro aufwärts. Das haben die wenigsten einfach so auf dem Konto. Es gibt Eltern, die ihren Kindern zur Geburt ein Sparkonto einrichten, in das auch schon mal die Großeltern an Weihnachten einzahlen. Viele verbinden auch besondere Ereignisse wie Kommunion, Konfirmation oder Jugendweihe mit einem Betrag, der darauf angerechnet wird. In der Regel sind solche Feste mit höheren Geldzuweisungen der Verwandtschaft verbunden. Und schließlich besteht auch die Möglichkeit, kürzere Zeiträume zu wählen: Ein Half Term in England, ein Trimester in Irland – oder sogar nur vier bis acht Wochen, etwa als „School Guest“ an einer Schule in Australien – Kinder lernen in diesem jungen Alter schnell, da können schon 4 Wochen College etwas bewirken.
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