Interview mit Tabea Fesser, Chief People Officer bei Ketchum Deutschland – „Equal Care“ und warum es heute entscheidend ist, ausgehend vom Mitarbeitenden zu denken
Frau Fesser, was waren die Hintergründe zur Entscheidung von Ketchum, bezahlte Elternzeit für alle Mitarbeitenden einzuführen?
Tabea Fesser: Unsere Entscheidung, eine voll bezahlte Elternzeit unabhängig von Geschlecht und Familienkonstellationen anzubieten, basiert auf der festen Überzeugung, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf heutzutage unerlässlich ist. Diese Maßnahme schafft eine Win-Win-Situation für das Unternehmen und unsere Mitarbeiter:innen.
Indem wir unseren Mitarbeiter:innen ermöglichen, sich in den ersten Wochen nach Geburt oder Adoption ohne finanzielle Sorgen auf ihre Familie zu konzentrieren, erhöhen wir nicht nur deren Zufriedenheit, sondern stärken auch ihre langfristige Bindung an unser Unternehmen. Investitionen in unsere Mitarbeiter:innen sichern aus unserer Sicht den langfristigen Erfolg des Unternehmens und stärken unsere Arbeitgebermarke.
Welche Herausforderungen sehen wir aktuell beim Thema „Equal Care“?
Tabea Fesser: Die Aufteilung elterlicher Aufgaben ist in frisch-gewordenen Familien oft ein komplexes Thema. Die Herausforderungen sind vielfältig: Es gibt nicht nur rechtliche Hürden, sondern auch tief verwurzelte gesellschaftliche Zwänge, die die Rollenverteilung in der Familie beeinflussen. Frauen leisten nach wie vor mehr Care-Arbeit als Männer: Der „Gender Care Gap“ beträgt aktuell 44,3 Prozent.
Das bedeutet, dass Frauen durchschnittlich umgerechnet 79 Minuten mehr am Tag für unbezahlte Sorgearbeit aufwenden als Männer. Vor allem wenn ein Kind ins Spiel kommt, klafft die Lücke gravierend auseinander. Dabei wollen viele Väter nach der Geburt ihres Kindes aktiv am Familienleben teilnehmen. Allerdings hat die entsprechende politische Initiative, die Vätern und Partnern der Mutter eine bezahlte Auszeit direkt nach der Geburt ermöglichen soll, bisher kaum Fortschritte gemacht.
Das hat zur Folge, dass in vielen Familien die Verantwortung für die Betreuung und Erziehung oft ungleich verteilt bleibt. Während Mütter häufig die Hauptlast der Kinderbetreuung tragen, möchten viele Väter mehr Zeit mit ihren Neugeborenen verbringen, sehen sich jedoch durch fehlende gesetzliche Regelungen und gesellschaftliche Erwartungen eingeschränkt.
Was können Unternehmen also tun?
Tabea Fesser: Unternehmen, die flexible Arbeitszeitmodelle und umfassende Unterstützungsangebote bereitstellen, können dazu beitragen, diese Herausforderungen zu mildern. Indem sie eine Kultur fördern, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützt, können sie nicht nur die Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter:innen erhöhen, sondern auch einen positiven Einfluss auf die Aufteilung elterlicher Aufgaben in der Gesellschaft ausüben. Deshalb haben wir uns bei Ketchum dazu entschlossen, als erste Agentur in Deutschland eine voll bezahlte Elternzeit für alle anzubieten.
Darüber hinaus unterstützt uns unser Kooperationspartner HeyNanny, ein Dienstleister für Kinderbetreuung mit über 20.000 geprüften Betreuer:innen. Unsere Unterstützung umfasst aber nicht nur Eltern, sondern alle individuellen Lebensphasen- und Bereiche: von Jobrädern für den Arbeitsweg über professionelle Coaching-Möglichkeiten bis hin zu subventionierten Mitgliedschaften bei Urban Sports Club. Wir setzen uns aktiv für das Wohlbefinden unseres Teams ein und richten uns dabei eng nach deren Rückmeldungen.
Wie wichtig ist die Akzeptanz von Elternzeit im Kollegenkreis für den Wiedereinstieg von Mitarbeitenden?
Tabea Fesser: Die Akzeptanz ist ein wichtiger Faktor: Wenn Elternzeit als normaler Bestandteil der Unternehmenskultur angesehen wird, fühlen sich Mitarbeitende ermutigt, diese Möglichkeit auch zu nutzen. Ketchum zeigt, dass eine positive Einstellung bei diesem Thema den Wiedereinstieg erleichtert. Unternehmen sollten daher eine Kultur fördern, die Elternzeit wertschätzt und unterstützt, und die dazu beiträgt, dass sich zurückkehrende Mitarbeitende schnell wieder integrieren können.
Aus HR-Sicht gesprochen: Wie wichtig ist der Human-Centric-Ansatz heute für Unternehmen?
Der Human-Centric-Ansatz wird in der Personalorganisation immer bedeutender, da er die Mitarbeitenden als wertvollste Ressource eines Unternehmens betrachtet. In einer Zeit, in der die Bedürfnisse der Mitarbeitenden zunehmend in den Fokus rücken, erkennen Unternehmen, dass eine positive Arbeitsumgebung direkt mit der Produktivität und Zufriedenheit der Mitarbeitenden verknüpft ist. Durch regelmäßige Gespräche und Umfragen, können Unternehmen gezielt auf die Anliegen ihrer Teams eingehen und sicherstellen, dass wichtige Elemente wie Life-Work-Balance und Diversität nicht nur auf dem Papier stehen, sondern aktiv umgesetzt werden.
Welche Rolle spielen flexible Arbeitszeitmodelle bei der Förderung der Work-Life-Balance?
Tabea Fesser: Flexible Arbeitszeitmodelle sind mittlerweile ein wesentlicher Bestandteil der modernen Art zu arbeiten – Stichwort New Work. Sie ermöglichen es Mitarbeitenden, ihre Arbeitszeiten an persönliche Verpflichtungen anzupassen, was zu einer höheren Zufriedenheit und Produktivität führt. Ketchum bietet beispielsweise Modelle wie Mobile Working und Workation an, die es Mitarbeitenden ermöglichen, Beruf und Privatleben besser zu vereinbaren. Unternehmen, die solche Modelle anbieten, zeigen, dass sie die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden ernst nehmen und bereit sind, innovative Lösungen zu finden, um deren Lebensqualität zu verbessern. Davon profitieren letztendlich beide Seiten – Unternehmen und Mitarbeiter:innen.
Welchen Stellenwert hat die eigne Arbeitgebermarke für die Rekrutierung neuer Talente?
Eine starke Arbeitgebermarke ist entscheidend für die Ansprache neuer Talente. Unternehmen, die als attraktiv und unterstützend wahrgenommen werden, ziehen eher hochqualifizierte Bewerber an. Ketchums Auszeichnung als einer der LGBTIQA+-freundlichsten Arbeitgeber Deutschlands ist ein Beispiel dafür, wie öffentliche Anerkennung das Vertrauen potenzieller Mitarbeitender stärkt. Eine transparente Kommunikation über die Unternehmenskultur und die angebotenen Benefits kann die Arbeitgebermarke weiter festigen und die richtigen Talente anziehen. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels, der sich in den kommenden Jahren weiter festsetzen wird, ist eine starke Arbeitgebermarke erfolgsentscheidend.
Persönlich gefragt: was ist für Sie das wertvollste Mitarbeiter-Benefit und welches Nutzen Sie am liebsten?
Tabea Fesser: Flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit zur Workation. Als Mutter eines 2-jährigen Sohnes weiß ich, was echte Vereinbarkeit ausmacht und wie wichtig sie ist. Diese Benefits geben mir die Freiheit, meinen Alltag so zu gestalten, dass ich sowohl beruflich als auch privat alles geben kann – und das auf eine Weise, die zu mir und meiner Familie passt. Unser starkes Engagement für Diversity & Inklusion ist dabei für mich besonders bedeutend: Als queere Frau in einer Regenbogenfamilie erlebe ich täglich, wie wertvoll ein unterstützendes und wertschätzendes Umfeld ist, das jede Form von Vielfalt willkommen heißt.
Bildcredits:@Fesser
Zur Person: Tabea Fesser ist Chief People Officer bei Ketchum Germany und begleitet die Transformation im Bereich People & Culture. Sie lebt in einer nicht traditionellen Familienkonstellation und kennt die Herausforderungen des Elternseins.
Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.